AMOK UND PSYCHE 

Das Werk von Anita Frech enthält eine avantgardistische Poetik und surrealistische Sensibilität für das Nebeneinander von Realitäten, Mystizismus und sich entwickelnden Transformationen. Ihr Schaffen, in dem die Künstlerin visuelle Allianzen mit Avantgarde-FilmemacherInnen, PerformerInnen und ModerevolutionärInnen eingeht –  darunter etwa Alfred Hitchcock, David Lynch, Lana Turner sowie Elsa Schiaparelli und Jean Paul Gaultier – bildet eine ungewöhnliche, im schnellen Wechsel zwischen künstlerischen Methoden, atemberaubende „Opera diffusa“ – teils Traumlandschaft, teils Memoiren, teils Elegie für das Verlorengegangene und für die Zeit an sich. 

Anita Frechs Untersuchungen gelten polymorphen Identitäten, gestischen Zuständen und der weiblichen, autonomen Identität in diesem metamorphen Flux. Zwischen Lynch und Laster, Amok und Psyche, sind in ihren Performances, Skizzen, Malereien sowie fotografischen Studien popkulturelle Bezüge stets präsent. Möchte man die vorherrschende Atmosphäre der Werke – hier vor allem Frechs performativeFotoserien – in Kontext bringen, so findet man deutliche Reminiszenzen in den Filmgenres des Film Noir und des Mindfuck Movie. Dabei werden von der Künstlerin die dafür charakteristischen Elemente wie die düstere Stimmung, der Chiaroscuro Effekt und die wichtige Figur der femme fatale eingesetzt. Darüber hinaus verfügen viele ihrer Werke über eine zyklische Struktur, welche mancherorts Déjà-vu-Erlebnisse generiert. Ein Streifzug durch die Bilderwelten wird zu einem chronologischen Trip, in dem ein wurzelloses Umherirren und schlussendlich das Erkennen der eigenen Ambivalenzen, die Suche nach dem äußeren Unheimlichen überholt. Vielleicht ist gerade dadurch ein Gros von Frechs Arbeiten von einer spürbaren, nervösen Dramatik durchdrungen. Allenfalls wird augenscheinlich, dass sich ein in Bildern sprechendes Ich inmitten eines erst zu entziffernden Erzählwerkes, der eigenen Geschichte, zu orientieren versucht. Verwoben in dieser enigmatischen Art des Erzählens sind wiederkehrende Fragen, welche die Künstlerin an die BetrachterInnen, vielmehr aber an sich selbst richtet: wer bin ich, was ist meine Realität und bin ich überhaupt noch lebendig, oder bereits tot?

Um dies zu ergründen, bewegt sich Frech etwa in der Serie „Animal M.“ auf eine Körpermetamorphose zu. Ihr weiblicher Körper wird darin zu einem Ort der Verhandlung mit der Großkatze, die eine imaginäre Flucht in eine andere Welt widerspiegelt, in der das Weibliche nicht gezähmt und dadurch unbeherrschbar wird. Dabei scheint die Künstlerin sich selbst zu beobachten, wie sie in Form ihres Alter Egos vergisst, ob sie nun die Gejagte oder die Jägerin ist. So streift sie maskiert und gehüllt in einen Pelzmantel durchs Dickicht eines stillgelegten Clubs. An diesem Un-Ort rauschiger Exzesse und nächtlicher Dramen wird der/die Rezipientin auf eine ebenso erotische wie bedrohliche Begegnung mit der eigenen Aggression, aber auch mit Trugbildern konfrontiert, wie sie etwa im Einsatz von Spiegeln zum Ausdruck kommen. Hinterhof-Ästhetik trifft auf extravaganten Glitzer, der stets am surrealen Abgrund entlangtaumelt. Dies gilt auch für die in Los Angeles entstandene Serie „Golden in Hollywood“, in der etwa Anita Frechs Exit-Strategie – der selbstbewusste, gar triumphierende Gang ins Freie – überraschend von einer streunenden Katze flankiert wird. Tiefenpsychologisch deutbare Symbole überlagern einander im Werk von Frech oft, jedoch nicht immer so augenzwinkernd. Auf vielfältige Weise brutal trägt die Künstlerin Kämpfe mit unsichtbaren Gegnern und mit eigenen Selbstanteilen aus. Anita Frech ist dabei stets Meisterin in offenen Enden und man kann ihr gesamtes Werk für eine sehr realistische Fallstudie einer Frau ansehen, die mit ihrem Schicksal noch nicht abgeschlossen hat. 

Trotz allen Wirrungen und Ablenkungen, versteht es Frech in ihren Arbeiten Selbstwerdungs- und Trennungsprozesse eindrücklich zu thematisieren. Dabei spielen ihre Werke verschiedene idealisierte, abgewertete oder abgewehrte Rollenkonstellationen zwischenmenschlicher Beziehungen erneut durch. 

Ganz dem tiefenpsychologischen Modell des „Drama-Dreiecks“ von Stephen Karpman entsprechend, welches konflikthaftes Geschehen durch die wechselnde, vorwiegend unterbewusste Einnahme dreier Rollen – der des Verfolgers, des Retters und des Opfers – erklärt, spannt die Künstlerin mehrere narrative Bögen auf, welche in Skizzen, Malereien und Performances zu kraftvollen Psychodramen verschmelzen. An dieser Stelle lässt sich behaupten, Anita Frech sieht sich selbst nicht nur als Künstlerin, sondern als ihre eigene Muse, was sie mit ihren surrealistischen VorgängerInnen in Verbindung bringt. Durch diese prägnante – und zuweilen penetrante – Ich-Erzählform wird versucht ein Hineinversetzen in die Figur zu erreichen. Im Gegensatz dazu steht Anita Frechs grafisches Werk. In rasch aufs Papier geworfenen Skizzen und Tuschezeichnungen in schwarz-weiß, sowie ihren expressiven Malereien wird der/die/das Andere wesentlich stärker eingenommen. Obwohl ebenfalls dem Prinzip der falschen Fährtenlegung verpflichtet, verlangt Anita Frech den RezipientInnen hier nicht eine allzu intensive Mitarbeit an der Sinnkonstitution ab. Affekte begegnen nicht mehr in einer Inszenierung entlang von Symbol und Parabel, sondern wesentlich direkter, schonungsloser. So berichten Portraits von Kindern und jungen Frauen, eingefroren in der Isolation des weißen Zeichengrundes, von Vernachlässigung, Missbrauch und emotionaler Verlassenheit. Zeugen sind weit aufgerissene Augen, starr vor Schreck, mit einem Blick, der bereits zu viel gesehen, endlich gesehen werden will. Dazwischen Münder, die Gutes aufnehmen, Schlechtes ausspeien wollen, andernorts zähneknirschend in die Stille schreien. In diese kaum auszuhaltenden Spannungen streut Anita Frech ein Kleinod in Form einer Handtasche. Deren Leder, vielleicht eine zweite Haut, in die man sich vergraben will, ist vorrangig mit einem Lockruf besetzt dort die Geheimnisse der mütterlichen Welt zu entdecken. Immerhin, „she is the one“. Wirst du mit mir gemeinsam auferstehen?, fragt die Künstlerin, die Handtasche derweil ausschlachtend, ausweidend und stiehlt sich mit dem Schatz ihrer Kindheit davon. Dennoch aber bleibt das Mitgenommene etwas Fremdes, ist lediglich Ballast und die Künstlerin unternimmt allerlei Körperverrenkungen um diesen wieder abzuwerfen. Das künstlerische Werk wird dabei zur Versinnbildlichung einer Initiation, welche, im Stil der klassischen Heldenreise, immer von Prüfungen begleitet wird. Dämonen, die sich tief im Dunkel verbergen, sind bei Frech ebenso präsent wie Phantasmen, Irrlichter und verführerische Verheißungen. Und wieder schlägt das Schicksal brutal zu. Doch diesmal ruft Anita Frech Begleiterinnen an ihre Seite, Augenpaare, die sie beinahe voyeurhaft begleiten, Zeugnis ablegen. Sie füllt den Bilderkosmos mit Glanz und Glamour und lässt selbstbewusst tanzend das Schlachtfeld bis zur nächsten Aufforderung hinter sich.

Esther Mlenek
Wien, 2022

Scroll to Top