AUSGELIEFERT UND EINVERLEIBT

Ihr Ausdruck ist vielgestaltig und wie in der Rückschau auf die beiden letzten Jahrzehnte ihrer Kunstproduktion deutlich wird, bedient sie sich der unterschiedlichsten Medien: Anita Frech untersucht Zustände des Seins in Performance, Fotografie, Malerei, Zeichnung, Collage, Skulptur und Objektkunst.

„Ich halte mich an die eigene Sprache, wenn ich arbeite und nicht denke“, erklärt sie und versucht damit jene Verfassung zu beschreiben, die sich am besten eignet, um einem inneren Erleben auf die Spur zu kommen. Zum besseren Verständnis könnten die beiden Satzteile ihrer Behauptung auch vertauscht werden und wie folgt lauten: „Wenn ich arbeite und nicht denke, halte ich mich an die eigene Sprache“.
Damit bezieht sich Frech nicht nur auf Praktiken, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in den Künsten erprobt wurden – von den Surrealist:innen beim Verfassen ihrer Écriture automatique oder in der abstrakten Malerei nach 1945. Dabei wurde stets der Versuch unternommen, den kreativen Herstellungsprozess der bewussten Kontrolle zu entziehen, um unbewusste Triebregungen vorbehaltlos aufzuzeigen.

Meist gehen derartige Ambitionen mit dem Interesse für die Verfahren der Psychoanalyse einher – so auch bei Anita Frech, die wie vorangegangene Generationen in ihren Arbeiten die Parallelen künstlerischer und psychoanalytischen Erklärungsmodelle auszuloten versteht.
„Bei der Bedeutung des Gegenstandes bitte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit.“, schrieb Sigmund Freud in seiner sechsten Vorlesung zu Einführung in die Psychoanalyse und erklärte, „Wenn ich jemand auffordere zu sagen, was ihm zu einem bestimmten Element des Traumes einfällt, so verlange ich von ihm, dass er sich der freien Assoziation unter Festhaltung einer Ausgangsvorstellung überlasse. Dies erfordert eine besondere Einstellung der Aufmerksamkeit, die […] das Nachdenken ausschließt.“

Auch in seiner Traumdeutung verwies Freud darauf, dass sich der Weg zum Unbewussten vorwiegend jenen erschließe, die ihren Emotionen und inneren Bildern unzensuriert freien Lauf lassen. So stützt sich die Methode der Psychoanalyse seit jeher auf die spontane Verknüpfung gedanklicher Inhalte, um den Ursachen psychischer Befindlichkeiten anhand von im wahrsten Sinn des Wortes „unbedachter“ Äußerungen auf den Grund zu gehen.
Wie oben genanntem Zitat zu entnehmen ist, bedarf auch das assoziative Gedankenspiel einer „besondere[n] Einstellung der Aufmerksamkeit“ – einer konzentrierten Hinwendung zu innerweltlichen Zusammenhängen, auf der auch Anita Frechs Werk basiert. Im Folgenden einige Gedanken zu einer Auswahl von Werkgruppen ihrer langjährigen Auseinandersetzung.

Frechs frühe Zeichnungen lassen im Wechsel von zart Umrissenem und grob Skizziertem das Bestreben spürbar werden, dem Wesen ihrer Empfindungen zur Darstellung zu verhelfen. Auch die wiederholten Befragungen bestimmter Gefühlszustände bleiben vom Zweifel genährt, ob das als signifikant Ins-Bild-Gesetzte den tatsächlichen Kern zu treffen vermag. So wird das Symbolische zum Ankerpunkt ihrer künstlerischen Übersetzungsleistung. Dahingehend sind Frech die psychoanalytischen Konzepte Carl Gustav Jungs näher als jene Sigmund Freuds. Da sich immer wieder dieselben oder einander ähnliche Bildzeichen vor dem inneren Auge der Künstlerin formieren, orientiert sie sich an Jungs überpersönlichen, von Kultur, Geschlecht und Erfahrung unabhängigen „Archetypen“, um Stimmungslagen in universell gültiger Form zu versinnbildlichen: „Die Inhalte des persönlichen Unbewussten sind Erwerbungen des individuellen Lebens“, meinte Jung, „die des kollektiven Unbewussten dagegen stets und a priori vorhandene Archetypen.“ Jungs Auffassungen liefern nicht nur eine Bestätigung, sondern motivieren Frech auch, ihre seriellen Bildproduktionen beharrlich fortzusetzen.

Trotz der inszenierten Verdichtungen wie sie in der vorliegende Kunstdokumentation aufscheinen, verlieren die jeweiligen Sujets kaum je an Dringlichkeit. Dabei mutieren die Physiognomien der Gestalten häufig zu einem Gegenüber, das sich einem weiterführenden Dialog widersetzt – in sich versunken, mit verbundenen Augen, mit einem ins Leere gehenden oder nach innen gekehrtem Blick.
Meist ein weibliches, oft auch ein kindliches Ich, das wie im Traumgeschehen in den Gesichtern anderer einen Ersatz findet. Mitunter gelangen Idole der klassischen Filmindustrie zum Einsatz, die dem kollektiven Gedächtnisspeicher entnommen in die individuellen Vorstellungen integriert werden. Beigefügte Gegenstände oder Tiere können helfen, den Sinn der bildhaften Manifestationen zu deuten. Als ikonografische Attribute stehen sie mit den menschlichen Figuren nicht selten in direkter Verbindung oder gehen gar in diesen auf.

Frechs performative Selbst-Befragungen fanden bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – auch ein Zugeständnis an den unabdingbaren Konzentrationsbedarf wie er einst von Freud eingefordert worden war.
Zu Beginn 2000 experimentiert die Künstlerin mit Kamera und Körper in einem verfallenen Areal einer ehemaligen Großraumdiskothek. In zahlreichen Abbildungen, manche von ihnen sind der Malerei näher als der Fotografie, wird das körperliche Ich aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und in Szene gesetzt.
Die aktionistische Dokumentation kann als eine Aneinanderreihung von kurzgefassten Storyboards filmischer Szenerien gelesen werden. Der spezifischen Atmosphäre des einst vielleicht verruchten und nun verlassenen Ortes folgend nehmen die vormals im Zweidimensionalen abgebildeten Phantasien nun im Dreidimensionalen Gestalt an.

In der Serie „Animal M“ bilden Pelzmantel, Tiermaske und Schaufensterpuppe die Requisiten. Frech bietet sich der Kamera und damit dem Auge der Betrachter:in als tierhaftes Mischwesen dar. In jenem „Film-Still“, in dem sie sich über die weibliche Attrappe beugt und deren Beine über einen Laub-bedeckten Asphalt zu zerren scheint, wird Frech zur Täter:in. In einem folgenden Abbild verharrt sie reglos vor dem eigenen Spiegelbild – den starren Raubtier-Masken-Blick auf ihren entblößten und dadurch verletzlich wirkenden Oberkörper gerichtet. Die nächste Fotografie stellt den Tatort eines Verbrechens dar – den vorläufigen Abschluss und Höhepunkt der dreiteiligen Bildsequenz – in grotesker Verdrehung ragen die nackte Puppenbeine aus dem Vorraum der ehemaligen Disco-Toilette.

Der Film, der bei der Betrachtung dieser Inszenierung in den Köpfen der Rezipient:innen „abgeht“, kann die Ambivalenz, die diesen künstlerischen Auswertungen des Seins zugrunde liegt, nicht leugnen. Ebenso wenig wie die nachfolgenden Darbietungen jugendlich anmutender Selbstdarstellungen, die oft stark sexualisiert, einmal von herausfordernder Souveränität und dann wieder von einem malträtierten Ausgeliefertsein zeugen: neben der Täter-Opfer-Umkehr zeichnen die fingierten Wechsel zwischen passivem und aktivem Gebaren einen verstörend schmerzlichen Weg der Identitätssuche nach.

In „Schattenspiel“ scheint die Ambivalenz-Toleranz, die Fähigkeit divergierende Komponenten wie Gut und Böse, Stärke und Schwäche als integrative Bestandteile der eigenen Psyche zu akzeptieren, ausgereizt: Die dynamische Zusammenführung von Zeichnung und Fotografie lässt die Grenzen zwischen Täter:in und Opfer einmal mehr verschwimmen – zwischen jener, die den Messer-bewehrten Arm hebt und der Misshandelten. Der unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt neigt sich die gezeichnete Opfer-Gestalt der Waffe entgegen, als fotografische Silhouette wendet sie sich in einer starken Gegenbewegung von dieser ab. Durch die statische Wiedergabe der Täter:in wird die eindeutige Antwort auf die Frage, wer für die dargestellte Gewalteskalation die Verantwortung trägt, erschwert: die dynamische Wiedergabe des Opfers erweckt den Eindruck, als ob es der Erfüllung seines Schicksals, der Vollendung seiner (Selbst-)Verletzung pro-aktiv begegnet. Ob dieses Bildnis ein zwiegespaltenes, inneres Spannungsverhältnis oder lediglich den zeitlichen Ablauf des Tathergangs schildert, bleibt der jeweiligen Betrachtungs- und Deutungsmacht überlassen. 

Animalisches präsentiert sich auch in der Reihe „Birdeggs“. Das häufig wiederkehrende Motiv des Vogels wird hier um die Aspekte der Körper-Frucht und ihres Schutzes erweitert: im Hintergrund ein Nest mit einem Ei, einer Glasmurmel und einem ausgeschnittenen Papierauge, davor die Protagonistin martialisch in schwarzes Leder gekleidet mit gesenktem Kopf in drohender Verteidigungshaltung auf die Kamera fokussiert.
Dann wieder Blicke durch und auf eine janusköpfige Vogel-Menschin und ihren Schoß, der wie jener der Konzeptkünstlerin Birgit Jürgenssen im Jahr 1979 ein Nest an jener Körperstelle birgt, die als Synonym für Ursprung und Geborgenheit von archetypischem Charakter ist.

Kriminalistische Fetische wie beschnittene, blutverschmierte Silber-Schuhe oder collagierte Gesichtsfragmente mit Hüten aus Federkleid und „geborgtem“ Haar führen zu „Girl Noir“, einer vornehmlich schwarz-weißen Serie, die sich mit nur einer Ausnahme dem Ausdrucksvermögen des weiblichen Gesichts widmet. Verzweiflung, Angst und Sorge prägen die zahlreichen Mimik-Varianten, die wie schon zuvor dem Ikonen-Schatz der klassischen Filmgeschichte entstammen können.

Anita Frech ist in ihren Bildern bestrebt, jenen Moment festzuhalten, in dem sich eine grauenhafte Vorahnung ins Bewusstsein schleicht, deren Stoßrichtung oder Schlagkraft kaum zu ermessen ist – Situationen, in denen sich das Unheimliche Bahn bricht, das selbst Sigmund Freud zu einer „ästhetischen Untersuchung“ veranlasste. In dieser gelangte der Psychoanalytiker zum Schluss, dass „das Unheimliche jene Art des Schreckhaften [sei], welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht“, und zitiert aus dem Begriffslexikon, in dem die Worterklärung wie folgt lautet: “Heimlich, a. (-keit, f. -en): 1. auch Heimelich, heimelig, zum Hause gehörig, nicht fremd, vertraut, zahm, traut und traulich, anheimelnd etc. ( a) (veralt.) zum Haus, zur Familie gehörig oder: wie dazu gehörig betrachtet, vgl. lat. familiaris, vertraut: Die Heimlichen, die Hausgenossen […]“.

Die enge Verbindung zwischen dem Unheimlichen und Vertrauten wird auch in Frechs späteren Arbeiten virulent, die ausnahmslos intime, entblößende oder entblößte Daseins-Augenblicke wiedergeben: ein sorgenvoll geweiteter Blick über die männliche Schulter in einer romantischen Umarmung, die Rückseite einer halbbekleideten und auf dem Bauch liegenden Frauenleiche oder die entlarvende, erkennungsdienstliche Aufnahme einer Mörderin in Frontal- und Seitenansicht. Ob im Rückgriff auf ein tatsächliches Ereignis oder der reinen Vorstellung entsprungen, es sind vertraute Motive, die Frech selbstreferentiell entwirft und mit dem Stempel der Allgemeingültigkeit versieht.

Empfindungen des Allein-Seins scheinen diesen Bildwerken ebenso unterlegt wie die daraus resultierende Sehnsucht nach Auflösung und/oder Vereinigung. Letzteres wird in skulpturalen Werken jüngeren Datums durchexerziert. Stoffe als Äquivalente der menschlichen Haut bilden den Ausgangspunkt für Frechs Performances, die wieder fotografisch belegt sind. Dabei gerät das Thema „Bühnenraum“, das schon in den frühen Factory-Aufnahmen Gegenstand künstlerischer Erkundung war, in den Fokus.

Der verhüllte Körper wird zur Plastik, die durch ihr additives Verfahren eine Vielzahl an Modulationsmöglichkeiten anbietet: Den Studien eines Leonardo da Vinci oder Albrecht Dürer nicht unähnlich werden die Draperien verwendet, um Gesten und Posen zu unterstreichen oder auch zu verschleiern. In den Konfigurationen, in denen die unterschiedliche Beschaffenheit von Haut mit jener des Stoffes kontrastiert oder der Faltenwurf den Fluss von Bewegung betont, finden die klassischen Aufgabenstellungen skulpturalen Gestaltens eine Fortschreibung und der Stoff gewinnt den Charakter eines Kleidungsstücks.

In anderen Arrangements wird das eingefärbte Gewebe zur Tarnung: Die Köperplastik gleicht sich dem Bühnenhintergrund zusehends an und verschmilzt schlussendlich mit ihrem Umraum. Eingearbeitet in die selbst erstellte Kulisse bedient Anita Frech den Selbstauslöser der Kamera, hält ihren nunmehr errungenen Objektstatus und den Akt ihrer Einverleibung fest.

Monika Pessler
Wien, Mai 2021

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